Partizipativer Journalismus: Viele Augen sehen mehr, viele Köpfe wissen mehr.

daniela.hinterleitner.uni-linz, 6. Juni 2014, 09:56

Eine prägnante Definition von partizipativen Journalismus ist nicht so einfach zu finden, da es sehr viele Ausprägungen gibt und sich dieser Bereich im Laufe der Jahre durch das Eintreten des Internets und den Rückgang mancher anderer Medien gewandelt hat. Eine meiner Meinung nach gute Defintion liefert Sehl:

 

"Im partizipativen Journalismus binden professionelle journalistische Medieninstitutionen ihr Publikum in redaktionelle Prozesse ein und beteiligen es an der Produktion von Inhalten. Die professionellen Joumalisten werden dadurch nicht überflüssig, ihre Arbeit wird lediglich unterstützt und ergänzt. Die professionellen Journalisten behalten die Entscheidungsmacht und legen auch fest, wie sich das Publikum einbringen kann und wer was, wann und in welcher Form publizieren darf. Für partizipativen Journalismus bietet sich das Internet wegen seiner hohen Interaktivität besonders an, aber auch in die Arbeit anderer Medien kann das Publikum stärker einbezogen werden. Die Ausprägungen des partizipativen Joumalismus sind dabei äußerst vielfältig." (Q1)

 

Erscheinungsformen…

…früher

Der Begriff der parizipativen Vermittlung erst durch das Internet geprägt wurde, ist dieses Phänomen nichts Neues und existierte bereits lange vor dem Zeitalter des Internets.

  • Heimatzeitung: Diese Zeitungen im 18. Jahrhundert versuchten auf den Lebens- und Kommunikationsraum der Menschen einzugehen, dadurch kam es zur Nutzerbeteiligung, um wirklich Geschichten aus dem Leben der Leser abzudrucken. Beispiele für Heimatzeitungen  (Q2)

 

  • Leserbrief: Die wohl bekannteste analoge und bis heute noch sehr beliebte Form des partzipativen Verhaltens. Zu Anfang wurden mittels Leserbriefe vor allem Kritik geübt und soziale Missstände aufgezeigt, was auch heute noch ein wesentlicher Bestandteil ist. Beispielsweise arbeitet die Kronen Zeitung heute noch stark mit diesem Phänomen und baut dadurch ein Nahverhältnis zu den Lesern auf.  (Q2)

 

  • Hörer- bzw. Zuschauertelefon:Pendant für Radio und TV zum traditionellen Leserbrief. Im Fernsehen heute nicht mehr so hohen Stellenwert, im Radio jedoch nach wie vor sehr beliebt. Bei Ö3 wurde gerade sogar wieder eine neue Show eingeführt „Frag das ganze Land“, wo ganz Österreich ein Problem eines Hörers kommentieren kann.  (Q2)

 

  • Alternativpresse: Im Gegensatz zu den oben genannten Formaten, hat die Alternativpresse die Bereitstellung von Partizipationsmöglichkeiten zum Primärziel. Man wollte eine Gegenöffentlichkeit schaffen. Dieses Genre wuchs in den 90er Jahren stark, fiel aber ebenso schnell wieder ab.  (Q2)

 

  • Nichtkommerzielle Radios: Nichtkommerzielle Radios sind mit der Alternativpresse vergleichbar und verfolgen auch ähnliche Ziele. So will nichtkommerzielles Radio vor allem für Menschen, die in „normalen“ medialen Angeboten unterrepräsentiert sind.  (Q2)

 

  • Offene Kanäle: Dabei handelt es sich um lokales oder regionales Fernsehen/Radio, wo alle Bürger gleichberechtigten Zugang haben. Leider oft mit technischen Problem und geringer Unterhaltsamkeit verbunden. (Q2)

 

… und heute

  • Weblogs: Weblogs spielen eine große Rolle im partizipativen Journalismus. Blogs variieren je nach Ziel: Corpoarte Blogs, Expertenblogs, Warblogs, Watchblogs,… Nur damit man ein Gefühl bekommt, wieviel Content in Blogs produziert wird. (Q3) Hier eine Statistik, nur über Wordpress-gehostete Blogs und selbstgehostete Blogs die das Jetpack-Plugin von Automattic nutzen:
    • Über 385 Millionen Besucher pro Monat
    • Über 13,3 Milliarde Seitenaufrufen pro Monat
    • 35 Millionen Artikel werden pro Monat veröffentlich
    • 61,2 Millionen Kommentare werden abgegeben pro Monat (Q4)

 

  • Microblogging: Verbreitung von kleinsten Informationseinheiten, oftmals mit weiterführenden Links. Zeichenlänge ist begrenzt, meist mit 140 Zeichen. Der bekannteste Microblogging-Dienst weltweit ist Twitter. (Q3)

 

  •  Kollektive Webangebote: Zeichnen dadurch aus, dass sie von Kollektiven bearbeitet und aufrechterhalten werden und nicht von Einzelpersonen. Kollektive Webangebote zeichnen sich durch die Aktivität und Freiwilligkeit der Nutzer aus. zB Youtube, Flickr (Q3)

 

  • Wikis: Sind eine Sonderform der kollektiven Webangebote. Versionen können in Wikis nachvollzogen werden und sie sind sehr offen in allen Schritten des Produktionsprozesses. Die meiste Aufmerksamkeit wird den offenen Wikis geschenkt, wahrscheinlich aufgrund von Wikipedia, den bekanntesten Wiki im Web. (Q3)

 

  • Soziale Nachrichtenangebote: Nachrichten aus dem Web werden kollektive gesammelt und anschließend kommentiert und diskutiert. Das berühmteste Beispiel ist Digg.
    Professionell-redaktionelle Webangebote: Webangebot, dass von Journalisten betrieben wird, die Rollenverteilung Journalist und Contentnutzer wird dabei weitgehend eingehalten. Werden erst dann partizipativ, wenn es erlaubt ist, die Nutzer einzubeziehen, zB mittels Kommentaren. (Q3)

 

  • Leserreporter-Angebote: Nutzer werden von der Redaktion von professionell-redaktionellen Webangeboten aufgerufen Beitragselemente (zB Bilder) einzusenden. Vorreiter ist in diesem Bereich die Bildzeitung, welche das schon seit 2006 ausübt, jedoch immer wieder unter Kritik, da oft journalistische und ethische Standards nicht eingehalten werden. (Q3)

 

  • Professionell-partizipative Webangebote: Mischung aus professionellen, redaktionellen und Laien-Beiträgen. Haben großes Potential im partizipativen Journalismus, da nicht professionelle Nutzer ganze Beiträge recherchieren, aber auch der journalitstische Standard nicht verloren geht. zB OhmyNews (Q3)

 

  • Sublokale Webangebote: „hyperlocal websites“, Nachrichten die für Lokalzeitungen nicht relevant genug sind oder keinen Platz darin finden. (Q3)

 

Partizipativer Journalismus wird in Zukunft wahrscheinlich eine noch größere Rolle spielen, da uns soziale Medien und das Web 2.0 aktiv einladen, Beiträge zu gestalten - egal ob in Blogs oder via Youtube. Es kommt dadurch zu einer Macht- und Ressourcenverschiebung und der Möglichkeit Veränderungen aktiv mitzugestalten. (Q5) "Dabei erweist sich die Ermöglichung partizipatorischer Kommunikation jenseits politisch-publizistischer Eliten als eine bedeutsame Voraussetzung, um Journalismus in seiner gesellschaftlichen Funktion dauerhaft zu legitimieren." (Q5) Dieser Ansatz ermöglicht es dem Journalismus den Blick nach vorne zu richten - weg von Klagen über verloren gegangene journalistische Qualitäten - hin zu Co-Produktion und Nutzung des Wissens vieler Köpfe. (Q5)

 

Quellen:

Q1: Sehl, Annika (2013): Partizipativer Journalismus im Lokalteil von Tageszeitungen. Springer Verlag, 2013

Q2: Engesser, Sven (2008): Partizipativer Journalismus. Eine Begriffsanalyse. In: Zerfaß, Ansgar/ Martin Welker/Jan Schmidt (Hrsg.): Kommunikation, Partizipation, und Wirkungen im Social Web. Herbert v. Harlem Verlag, 2008

Q3:Engesser, Sven (2013): Die Qualität des partizipativen Journalismus im Web. Springer Verlag, 2013

Q4: http://www.socialmediastatistik.de/ueber-715-millionen-blogs-bei-wordpress-com/

Q5: Lünenborg, Magreth (2012): Die Krise des Journalismus? Die Zukunft der Journalistik!. In: Publizistik. December 2012, Volume 57, Issue 4, S. 445-461


 

1 comment :: Kommentieren

christa.leitner.uni-linz, 6. Juni 2014, 16:33

... weg von Klagen über verloren gegangene journalistische Qualitäten - hin zu Co-Produktion und Nutzung des Wissens vieler Köpfe.

Dieser Aspekt wurde bei den meisten Beiträgen (inkl. meinem) gar nicht heran gezogen. Beim partizipativen Journalismus würde immer Kritik an der Qualität geübt. Dein Ansatz zur Co-Produktion finde ich daher sehr spannend. Ich denke hier können professionelle Journalisten profitieren, indem diese an Informationen gelangen, die näher am Geschehen sind.

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