Vortrag Das Web und seine Wissenschaften

Hans.Mittendorfer.Uni-Linz, 5. Oktober 2015, 10:49

Warum und wie das Web entstand

Tim Berners-Lee spricht in seinem Vortrag: "The next Web of open, linked data" (Q 12) über die Motive das Web zu entwickeln, die Notwendigkeit Standards und "Links" für vernetzte Dokumente zu schaffen und barrierefreien, letztendlich globalen Zugriff auf Daten zu ermöglichen.

Hypertext und Hypermedia

Die Ursprüngliche Idee vernetzter Daten stammt jedoch von Ted Nelson. 1980 verfasst Theodor Holm Nelson ein Werk, das der "Literary Machines" (Q16) nannte und mit dem Hinweis versah: "Do not confuse it with any other Computer Book". Eine deutliche Aussage dahingehend, dass er mit dem Werk keinen Beitrag zur Disziplin der Informatik liefern wollte, sondern ein Konzept für das nicht-sequentielle Schreiben und Lesen. Literary Machines dreht sich um Begriffe wie "Hypertext", "Interconnected Writing", "Non-sequential Reading and Writing", "In-Links and Out-Links" und stellt erstmals einen semantischen Zusammenhang zwischen "Front End und Back-End Service" her.

 

Front End - Back-End Service

Front End - Back-End Service (Q16, 2/7)

Im Wintersemester 2011 wirkte Ted Nelson am Start des Studiums der Webwissenschaften der Johannes Kepler Universität mit.

Das Verhältnis zwischen Web und Internet

Das World Wide Web (kurz Web oder WWW) ist technologisch gesehen ein Dienst unter vielen Diensten des Internet, es wird jedoch vielfach dem Internet gleich gestellt. Diese Gleichstellung hat bis zu einem gewissen Grad seine Berechtigung, denn das WWW bietet den Nutzern über seine Oberfläche viele der generischen Interent-Dienste (z.B. E-Mail, Filetransfer, Audio- und Videostreaming), sogen. Web-Applikationen (z.B. Soziale Medien) und Informationsquellen des Alltags an. Die 5. Generation von HTML - der Sprache des Web - nämlich HTML5 trägt, mit seinen Technologien umfassend dazu bei.

Die Verschiebung der Nutzung des Web vom ürsprünglichen hypertextuellen Web (bzw. dem Web 1.0) zu  Videostreams und Peer-to-Peer Anwendungen, veranlasste das Internet-Magazin "Wired" im August 2010 einen Beitrag von Chris Anderson und Michael Wolff mit dem Titel "The Web Is Dead. Long Live the Internet" als Titelstory zu veröffentlichen (Q10), der die Fachwelt in Aufruhr versetzte (siehe Q11). Das Web, so die zentrale Aussage, expandiert bzw. mutiert zum allumfassenden Dienst, schließlich zum Internet selbst.

 Abb.: Proportion of Total US Internet Traffic, (Q10)

Millionen von Facebooknutzern meinen, dass Sie zwar Facebook nutzen, aber das Web und Internet nicht.

Laut einer Studie von Helani Galpaya sind namhafte Facebook-NutzerInnen in Indonesien, den Phillipinen und Thailand der Meinung, dass sie Facebook nutzen, das Internet aber nicht. Ähnliche Ergebnisse brachten Untersuchungen in Afrika und den USA. "It seemed that in their minds, the internet did not exist, only Facebook" (siehe Q 21).

Dieses Phänomen steht in engem Zusammenhang mit der Beschreibung des Gegenstandes der Webwissenschaften. Der Bedeutungswandel zentraler Begriffe wie Internet und Web verändert das Betrachtungsobjekt. Die Technologie des Webs steht nicht mehr im Zentrum wissenschaftlicher Diskussionen, wie dies in den 1990er Jahren der Fall war, im Vordergrund. Vielmehr sind es gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Phänomene und damit im Zusammenhang stehende juristische Fragestellungen. Ein Indiz dafür, dass die Webwissenschaften längst keine "HTML-Wissenschaften" mehr sind.

Der Trend: Mobilkommunikation

Im Februar 2014 schreibt Nathan Matuska: "In 2010 Wired Magazine published The Web Is Dead | Long Live The Internet, regarding the demise of the PC and the shrinking need for the Web as a digital presence. The original argument from the authors states that in the new age of tablet devices, people would consume digital content via apps, which would kill the web as the main source of digital information. Now, over three years later, we can see that the web is not dead and is in fact alive and growing." (Q14)

Der Grund für Auferstehung des Webs wird in der wachsenden Nutzung mobiler Endgeräte gesehen. 2015 lag der Anteil mobiler Endgeräte bei Zugriffen auf das Web weltweit bei ca. 32 % in Asien bei ca. 45 %. (Q 15). Tendenz steigend.

Marktanteile von Endgeräte-Plattformen

Quelle: (Q14)

Ökonomische Vorteilhaftingkeit digitaler Kommunikation und Information

Allein die ökonomische Vorteilhaftigkeit digitaler Kommunikation und Information bedingt, dass das Web trotz seiner Bedrohungen und Gefährdungen nicht mehr wegzudenken ist. Die Gesellschaft in den Indsutrie- und Schwellenländern hat sich darauf einzustellen und bereitwillig eingestellt, wie auf die Entwicklung der verfügbaren Energie oder die vorhandenen Verkehrssysteme.

Zum Standort der Webwissenschaften

Zur Frage, ob die Webwissenschaft eine eigenständige Wissenschaft ist oder je werden kann, weist H. Volpers im Kapitel "Das Web als Gegenstandbereich im Kontext verschiedener Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften" auf die, wenngleich sehr unterschiedlichen, "erkenntnisleitenden Interessen" der beteiligten Disziplinen hin (Q4, Seite 45). Beispielgebend wird u.a. E-Commerce als Teildisziplin der Wirtschaftswissenschaften mit dem Fokus am Web angeführt.

Auch die im gegenständlichen Studium als interdisziplinär eingestufte Betrachtungsweise der Webwissenschaften zergliedert eine, möglicher Weise neue Wissenschaft in bekannte Fächer mit dem Präfix "E-" (E-Business, E-Government, E-Learning, usw.) und extrahiert diese aus traditionellen Wissenschaften. Dieser Ansatz ist als Antwort auf die Frage nach der Eigenständigkeit der Webwissenschaft jedoch nicht zufriedenstelltend.

Volpers verweist deshalb in seinen Ausführungen auf das "Modell einer zukünftigen transdiszipliären Webwissenschaft" (Q4, Seite: 47). Sie sieht ihre Wurzeln in der allgegenwärtigen und umfassenden Durchdringung des Alltags aller gesellschaftlichen Milieus mit digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien, repräsentiert durch das Web - dem ubiquitären Web. In der zitierten Quelle ist beispielsweise von "technisch konstruierten, humanen bzw. sozialen Aktionsräumen" die Rede, die von keiner der sich angesprochen fühlenden Einzelwissenschaften (ausreichend) verstanden und erforscht werden können.

Das systematische, transdisziplinäre Aufsuchen, Ordnen, Beschreiben, Bewerten und Entwickeln grenzüberschreitender Phänomene in einzelwissenschaftlichen Sichtweisen ist demnach  Grundlage der Betrachtung der Webwissenschaften als Sammelbebriff singulärer Disziplinen oder aber einer kohärenten Disziplin, nämlch der Webwissenschaft.

Webwissenschaften from Hans Mittendorfer

 

Big Data ist beiweitem nicht nur ein technisches Phänomen.

Datenbanken sind strukturierte Lagerstätten für Daten aller Art. Das zentrale, strukturgebende Element in Datenbanken sind Tabellen, die aus Zeilen (Sätzen) und Spalten (Feldern), bestehen. Das kleinste, atomistische Element in einer Datenbank ist die Ausprägung eines Feldes in einem Datensatz. In Tabellenkalkulationsprogrammen wird in diesem Zusammenhang von "Zelle" gesprochen und entspricht z.B. dem Nachnamen eines Kunden. Der Umfang, die Zusammensetzung und der Aufbau der Tabellen in Datenbanken bzw. deren Felder ist nicht willkürlich, sondern Regeln unterworfen. Tabellen gehören, insbesondere in Form von Listen zu millionenfach benutzten Modell organisierender, strukturierender oder auch nur darstellender Maßnahmen. Die überwiegende Mehrzahl solcher Tabellen und Listen stammt, wenn automatisiert erzeugt, aus Datenbanken.

Das Web bezieht seine sekündlich und milliardenfach, die mit Hilfe der Netze ausgelieferten und über die Browser dargestellten Inhalte vornehmlich aus Datenbanken. So gesehen ist die Facebook-Timline eines Mitgliedes eine Liste, bzw. Tabelle aus Datenbankinhalten mit den Feldern: Profilbid, Datum, Beitragsbild, Beitragstext, Anzahl der "Likes" u.a.m. welche aus einer immensen Datenbank selektiert und mit Layout-Paramtern versehen zum typischen Web-Erscheinungsbild kombiniert wird. Mit Hilfe desselben Erscheinungsbildes, man könnte es auch Forumular nennen, können die dargestellten Daten aber auch gelöscht, verändert oder ergänzt und anschließend als neuer oder veränderter Beitrag in die immense Datenbank rücktransferiert werden.

Wie am einfachen Beispiel bereits erkennbar, enthalten Datenbanken auch unterschiedliche Datentypen, wie z.B. Texte, Datumswerte, Fotos oder auch nur die an sich winzige Information darüber, ob man etwas mag (like) oder eben nicht. Mögen, oder nicht Mögen kann im Grenzfall mehr bewirken als ein preisverdächtiges Foto und benötigt dennoch nur den Platz der allerkleinsten Speicherheinheit: dem Bit.

Obwohl - glaubt man den Studien - sich die meisten NutzerInnen der Social Media über Wirkung und Reichweite Ihrer Postings wenig Gedanken machen, ist der Zugriff auf Einzelheiten in den Tabellen der Datenbanken mittels Zugriffsrechten lenk- und begrenzbar. Wer demnach berechtigt sein soll Daten zu lesen, löschen, verändern oder ergänzen, unterliegt eigenen Reglerwerken, von den Bedarfen unterschiedlicher Gruppierungen an Nutzern oder Rollen in Organisationen abgeleitet.

Das soeben beispielhaft Dargelegte gilt selbstredend für ungezählte Anwendungen aus allen Bereichen in denen Computer und Netzwerke zur Lösung von Aufgaben eingesetzt werden. Im Hintergrund, weil sie sich eben auf den Oberflächen nicht immer leicht zu erkennen geben, arbeiten Datenbanken. In betrieblichen und behördlichen Informationssystemen, Freizeit- und Arbeitsumgebungen, spielerischen und ernsthaften Metiers des modernen, mobilen Lebens.

Wer Zugriff auf die permanent wachsenden, immensen Datenbestände in Datenbanken hat, besitzt ökonomische oder politische Macht. Digitale Werkzeuge bzw. Tools (Algorithmen) zur automatisierten quantitativen und qualitativen Auswertung von Datenbeständen filtern, ordnen, berechnen und verbinden die in Tabellen scheinbar isolierten Daten zu neuen Erkenntnissen. Damit werden die Geschicke von Unternehmen gelenkt, politische Entscheidungen getroffen, die Finanzmärkte dirigiert, aber auch Leistungsbeurteilungen in Lehrveranstaltungen ermittelt. Manchmal handeln die Datenbank-auswertenden Algorithmen eigenmächtig und ohne menschliche Kontrolle. Sie kaufen und verkaufen, setzen Kurse fest. Der überwiegende Teil des Geldes, bzw. jener Werte, die Geldes wert auf Finanzmärkten gehandelt werden, lagert nicht in Scheinen und Münzen, sondern als hoffentlich gut gehüteten Zahlen in Datenbanken der Geldinstitute und Börsen, als Buchgeld bekannt. Verluste in Krisenzeiten sind demnach nicht Verluste an Banknoten, sondern "lediglich" Subtraktionen, die auf Kontodaten ausgeführt werden.

Handeln die Daten von Menschen, sagen sie direkt oder indirekt etwas über Personen aus, so werden damit auch die größten Schattenseiten der Anwendung von Datenbanken angesprochen. Der Praxis effektivster und gleichzeitig schädigender Verknüpfung und Auswertung personenbezogener Daten wegen, wurde bereits Ende der 1970er Jahre in vielen Ländern der heutigen Europäischen Union ein Gesetz zum Schutz der Privatsphäre, ein Datenschutzgesezt erlassen. Mit der Verbreitung des Internets ist das Thema Datenschutz aktueller denn je und steht im diametralen Widerstreit zur bereits erwähnten wirtschaftlichen und politischen Macht derer, die insbesondere auf Daten der Nutzer des Internet und Mobilnetzen Zugriff haben.

Den technische Hintergrund fast aller geschilderten Phänomene bilden Datenbanken in Zusammenarbeit mit Apps, Programmen, Anwendungen, Robots oder welchen Namen man den Containern von Algorithmen geben möchte.

Quellen (Qn)

  1. Online: Curriculum Webwissenschaften
  2. Online: "Web Architektur des W3C"
  3. Theodor Holm Nelson: "Literary Machines", Eigenverlag 1980
  4. K. Scherfer: "Ist das Web ein Medium", in K. Scherfer (Hg.): Webwissenschaft - Eine Einführung", Berlin 2010.
  5. H. Volpers: "Warum eine Webwissenschaft?", in K. Scherfer (Hg.): Webwissenschaft - Eine Einführung", Berlin 2010.
  6. Online: FinanzNachrichten.de "Jedem siebten Internetnutzer ist der Datenschutz egal"
  7. Online: "Internet-Trennung ist Menschenrechtsverletzung"
  8. Online: "Internet Protokoll Version 6"
  9. Douglas R. Hofstadter: "Gödl, Escher, Bach", Stuttgart 1985, Seite 400 ff.
  10. Online: "The Web Is Dead - Long Live the Internet", Wired 2010.
  11. Online: "Is the Web Dead?", The New York Times
  12. Online: Berners-Lee: "The next Web of open linked data", TED Konferenz im Februar 2009, Longbeach California.
  13. Online: Ted Nelson: "The Computerworld is Not Yet Finised"
  14. Online: Matusak M: "The Web is Not Dead"
  15. Online: http://www.japantimes.co.jp/news/2014/08/03/world/science-health-world/hitchhiking-canadian-robot-tests-trustworthiness-of-humans/#.VDEue76lrjQ
  16. Theodor Holm Nelson: "Literary Machines", 1980
  17. Online: Xanadu Hypertext System
  18. Online: Nelson "The Xanadu Document Model"
  19. Online: Nelson "Transpublishing: A Simple Concept"
  20. Online: Nelson "Transcopytight for the Web
  21. Online: http://qz.com/333313/milliions-of-facebook-users-have-no-idea-theyre-using-the-internet/
  22. Online: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/217457/umfrage/anteil-mobiler-endgeraete-an-allen-seitenaufrufen-weltweit/

Alle genannten Onlinequellen wurden zuletzt am 24. Sept. 2015 aufgerufen. Für Inhalte der Onlinezitate wird keinerlei Haftung übernommen.

5 comments :: Kommentieren

Antikythera

antonia.gantner.uni-linz, 5. Oktober 2015, 14:10

"eine astronomische Rechenmaschine von einer im nachfolgenden Jahrtausend nie wieder erreichten Komplexität"

aktuelle Funde im Schiffswrack und mehr zu Antikythera:

http://derstandard.at/2000023091502/Neue-Schaetze-aus-dem-Schiffswrack-von-Antikythera-geborgen?_slide=1

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claudia.medek.uni-linz, 5. Oktober 2015, 14:22

Habe eine interessante Dokumentation zu Antikythera auf Youtube gefunden:

https://youtu.be/F1LbXSbxEJk

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sabrina.wappel.uni-linz, 5. Oktober 2015, 14:51

Dazu gibts einen aktuellen (28.09.2015) Artikel in der FAZ (inkl. wie dieser Mechanismus funktioniert)

http://www.faz.net/aktuell/wissen/das-raetsel-des-antikythera-mechanismus-13812852.html

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Die digitale/mobile Kommunikation ist auf dem Vormarsch

lisa.jank.uni-linz, 29. Dezember 2015, 09:08

Einige interessante Zahlen aus Österreich erwarten die LeserInnen bei meinem Statement zum Thema "Vormarsch der digitalen und mobilen Kommunikation" sowie Gedanken zu den Hintergründen der momentanen Bewegung und mögliche Auswirkungen auf die Zukunft.

 

Hier geht's lang!

 

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stefan.hochhold.uni-linz, 6. Jänner 2016, 22:31

Die Stadt Linz kann sich seit 1. Dezember 2015 UNESCO City of Media Arts nennen und ist damit gemeinsam mit 7 anderen Städten (wie zB. Tel-Aviv, Sapporo oder Lyon) Teil eines internationalen Kreativnetzwerks mit dem Fokus auf digitale Medienkunst. Was sind die Ziele und Vorhaben dieser Mitgliedschaft und was erwartet sich die Stadt dadurch? Ich habe dazu ein Statement verfasst.

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