Die akutelle "Krise der Tageszeitungen" ist eine Finanzierungskrise, die sich in einer Verkleinerung von Redaktionen und anhand von Insolvenzen/am Verkauf mehrerer deutscher Tageszeitungen äußert (vgl. Puppis/Künzler/Jarren 2012: S. 11). Hauptgrund dafür: das angeblich so böse Internet. Ist diese Problematik für das Medium Tageszeitung tatsächlich Grund genug den Kopf in den Sand zu stecken? Oder tun sich am Web 2.0-Horizont auch für Tageszeitungen einige Lichter auf?

Mit einem klaren "Ja" äußern sich dazu die Beiträge von #1Machold_Lischka und #3Burmeister_Meckel. Sie machen, gegensätzlich zu mach anderen Beiträgen aus der Reihe "2020 - Die Zeitungsdebatte" im deutschen Spiegel, durchaus optimistisch auf einen aus meiner Sicht wirklich wichtigen und interessanten Aspekt aufmerksam: Nämlich dass sich Zeitungen einen kreativen Weg finden sollten, sich diesem neuen Medium und dessen inhaltlicher, sprachlicher und betriebswirtschaftlicher Kultur ihren Intentionen entsprechend authentisch anzupassen. Und sich nicht von der eigenen Wichtigkeit und Qualität höchstüberzeugt auf veralteten Selbstverständnis-Schemen selbstzufrieden auszuruhen. Der Krise der Tageszeitungen mit Kreativität und Innovation zu begegnen ist ihr Vorschlag.


#1Machold_Lischka

"Ein neues Massenmedium verändert immer auch Kultur, Sprache und die Parameter einer Gesellschaft." (Machold 2013)

Machold nimmt in seinem Beitrag im Grunde eine kulturhistorische Perspektive ein und erklärt anhand diverser Beispiele, dass sich mit der Erfindung neuer Massenmedien immer neue Wege auftaten. Der Fokus auf alte Schemen und die spezifischen Probleme der Print-Zeitungen in ihrer bisher dagewesenen Form würden daher aktuell den Blick darauf verstellen, was schon an Neuem lebt und an Möglichkeiten entsteht. Dies gelte gerade auch für den Qualitätsjournalismus, "wie immer man den definieren möchte." (Machold 2013)

Zur finanziellen Krise der Tageszeitungen führt Machold zunächst aus, dass das Tageszeitungsgeschäft schon immer ein Quer-finanziertes Gewerbe war: neun Rätsellöser subventionieren quasi eine Person, die an Außenpolitik interessiert ist. Und dieses Modell gilt es nun auch auf den online-Journalismus und dessen Geschäftsmodelle zu übertragen (vgl. Machold 2013).

Drei solcher Geschäftsmodelle mit "Web-Anstrich" beschreibt Litzka in seinem Beitrag. Eines davon bezieht sich auf (im Falle einer Bezahlung) hochdetaillierte Berichterstattung über das lokale politische Geschehen für ansässige EntscheiderInnen (PoilitikerInnen, LobyistInnen, etc.) in Washington; eines auf die regionale Wirtschaft, der über eine Regionalzeitung gegen Bezahlung eine gemeinsame Plattform mit entsprechend interessensgefärbter Berichterstattung geboten wird und ein drittes auf das Zusammenlegen von online-Ausgabe und dem ?best of? daraus mit Printausgaben mit Anzeigenzeitungen und einer ergänzenden Luxus-Sonntags-Ausgabe für ein vermögendes Publikum (vgl. Litzka 2013).

Außerdem verweist er auf die staatliche Förderung von lokalen Journaliusmus-StartUps anstatt großer Verlage (Litzka 2013). Hier ist auch Crowdfunding ein Thema, welches im Journalismus teilweise Anwendung findet (vgl. dazu Jian & Usher 2013).

Die Krise scheint also für diese beiden Insider also durchaus bewältigbar. Ähnlich sehen das auch die anderen beiden Autorinnen.


#3Burmester_Meckel

"[Die Zeitungen] sind wie ein reicher, alter Mann, der meint, sein Geld genüge schon, damit die Weiber um ihn herumhüpfen." (Burmester 2013)

Tageszeitungen sind laut Burmeister viel zu wenig kreativ. Sie würden sich noch immer als Nachrichtenverwalter und Schönschreiber begreifen und hätten nicht verstanden, dass das im Zeitalter des Netzes nicht mehr reicht. Sie würden von den Langweilern der Mittelmäßigkeit verantwortet, die, ihren traditionellen Selbstbild verhaftet, keinen oder nur wenig Platz für auffällige und bunte Formate für ihre Inhalte bieten würden (vgl. Burmester 2013).

In die Selbe Richtung argumentiert auch Meckel. Sie fordert daher ein bedeutendes Mehr Radikalität, gepaart mit Subjektivität ("Wir brauchen die Zeitung nicht mehr als Massenmedium."), Liberalität (im bürgerrechtlichen Sinne) und Subversivität ("Lange Stücke statt Infosnippets, erzählerisch statt berichtend, subjektiv, nicht objektiv, Hintergrund statt Faktenfetisch, ein Orientierungs-, nicht ein Nachrichtenmedium"). Zeitungen könnten so einen Gegenakzent setzen, indem sie langsam in ihren Themenzyklen sind und bedacht und kontrovers Akzente setzen (vgl. Meckel 2013).

Burmester erwähnt in dieser Hinsicht das Beispiel der "taz", welches sich retrospektiv schon häufig an seiner Existenz bedroht sah. Sie habe es geschafft, mit ihrer "kürzlich gerelaunchten Wochenendausgabe sonnabends etwas vor die Tür zu legen, das ich mit Vorfreude in die Hände nehme. Durch Themen, Autoren, Herangehensweisen, Herzblut. Ich habe beim Lesen das seltene Gefühl: Da steckt Liebe drin." (Burmester 2013) Die von Meckel erwähnten Vorschläge finden hier scheinbar ihre exzellente Anwendung.


Die AutorInnen plädieren zusammengefasst also dafür, dass Tageszeitungen ihr klassisches Rollenveständnis hinter sich lassen sollen und sich in inhaltlicher, sprachlicher und betriebswirtschaftlicher Kultur entsprechend authentisch anpassen sollten. Dies sei hintergründig der Erfindung neuer Massenmedien im Grunde ein natürlicher Vorgang und kein Grund zur Panik, wie die Geschichte zeige.

Ein gutes Beispiel für diese beschriebenen Tipps & Tricks ist für mich das vice-Magazin, auch wenn es nicht als Zeitung im klassischen konzipiert ist (vgl. Wikipedia 2014). Trotzdem kann es als eine Art Vorlage für krisengebeutelte Tageszeitungen dienen. Denn das Jugendmagazin schafft es rein werbefinanziert, mit seiner monatlichen gratis (!) in Shops aufliegenden Printausgabe, einer viel frequentierten Homepage und einem umfassenden YouTube-Kanal zugleich Themen der Jugendkultur, kontroverse Themen (Sex, Drogen, Gewalt) aber auch politische Berichterstattung auf eine qualitativ hochwertige und zugleich ansprechende Art und Weise zu kommunizieren. Die Sprache und Themen sind gewagt - und gehen eben dadurch nicht im Internetzeitalter unter.


Doch zurück zu den AutorInnen. Trotz der guten Vorschläge werden aus meiner Sicht einige Aspekte verabsäumt bzw. zu wenig beleuchtet, was für mich Fragen aufwirft.

Zum einen wird die Funktion von Massenmedien als zentrales Informations- und Meinungsbildungsmedium in einer Demokratie relativ unkommentiert unter den Teppich gefegt. Es wird einfach - explizit wie implizit - unterstellt, dass Tageszeitungen in dieser Funktion nicht mehr gebraucht werden. Sind aber in einer solchen Funktion nicht trotzdem nach wie vor traditionelle und klassische Medien - und damit auch klassische und traditionelle Zeitungen - als eine wichtige Basis vonnöten, welche die AutorInnen mangels ihres Anpassungsvermögens an die schnelle Internetkultur kritisieren? Würde diese Anpassung diese Funktion nicht verklären? Oder wieder anders gefragt: sollen sich, zumindest die staatlich finanzierten Medien hier überhaupt anpassen - und damit mitunter auch interessensgeleiteter Finanzierung Haus und Hof öffnen?

Zu wenig beleuchtet wird aus meiner Sicht, dass in vielen Redaktionen digitaler Journalismus zunächst meist von den dahinterstehenden Umsätzen aus den Printmedien abhängig ist. Die Übergangsphase bzw. die Umstellung auf ein neues Geschäftsmodell dürfte in Bezug auf die interne Akzeptanz sowie auch KundInnenakzeptanz in vielen bestehenden Redaktionen eine nicht zu unterschätzende Herausforderung sein.

Zudem stellen die AutorInnen fest, dass das Internet ein eigenes Medium mit eigener Sprache und Kultur ist und die Zeitung sich diesem Format auf seine charakteristische Weise anpassen möge. Dem stimme ich voll und ganz zu. Trotzdem stellt sich die Frage: Wird dieser Versuch gelingen? Die immense Informationsflut, mit der MedienkonsumentInnen heute konfrontiert sind, wird dabei nämlich ausgeblendet. Zeitungen konkurrieren mit einem irrsinnig schnellen Medium, welches heute bereits lokal unabhängig und extrem niederschwellig zugänglich ist. Können es Zeitungen angesichts dieser Konkurrenz, auch wenn sie die Ratschläge - speziell von Meckel - befolgen, überhaupt schaffen, mittels Qualität auf Dauer einen LeserInnenstamm zu halten, der sich künftig immer mehr der Internetkultur als der "Print-Kultur" (aka. klassischem "Qualitätsjournalismus") zuwendet?


Zusammengefasst sind die Vorschläge der AutorInnen trotz dieser offen gebliebenen Fragen konstruktiv und treffend, wenn sie auch sehr subjektiv sind. Sie zeigen Perspektiven auf, die sich jenseits der "Comfort-Zone" des klassischen Selbstverständnisses von Tageszeitungen bewegen und geben Anlass zu mutigem Risiko. Gerade das wird künftig auch aus meiner Sicht ein für dieses Medium entscheidender Faktor sein!



Quellen

Brumester, S. (2013): Die Friedhofsverwalter
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/silke-burmester-zur-zeitungsdebatte-a-915733.html

Jian, L.; Usher, N. (2013): Crowd-Funded Journalism.
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jcc4.12051/full

Lischka, K. (2013): Was kommt, wenn die Regionalzeitung geht
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/mediendebatte-was-kommt-wenn-die-regionalzeitung-geht-a-915746.html

Machold, U. (2013): Buzzfeed und Götterdämmerung
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/ulrich-machold-zur-zeitungsdebatte-a-916843.html

Meckel, M. (2013): Plädoyer für den radikalen Anachronismus
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/miriam-meckel-zur-zeitungsdebatte-die-luecke-des-teufels-a-916134.html

Puppis, M., Künzler, M., & Jarren, O. (2012): Einleitung: Medienwandel oder Medienkrise?. In: Jarren, O.; Künzler M.; & Puppis M. (Hrsg.) (2012): Medienwandel oder Medienkrise? Folgen für Medienstrukturen und ihre Erforschung (Medienstrukturen, Vol. 1) (pp. 11-24). Baden-Baden: Nomos.

Wikipedia (2014): Vice (Magazin)
http://de.wikipedia.org/wiki/Vice_(Magazin)