Mittwoch, 2. Juli 2014
Die akutelle "Krise der Tageszeitungen" ist eine Finanzierungskrise, die sich in einer Verkleinerung von Redaktionen und anhand von Insolvenzen/am Verkauf mehrerer deutscher Tageszeitungen äußert (vgl. Puppis/Künzler/Jarren 2012: S. 11). Hauptgrund dafür: das angeblich so böse Internet. Ist diese Problematik für das Medium Tageszeitung tatsächlich Grund genug den Kopf in den Sand zu stecken? Oder tun sich am Web 2.0-Horizont auch für Tageszeitungen einige Lichter auf?

Mit einem klaren "Ja" äußern sich dazu die Beiträge von #1Machold_Lischka und #3Burmeister_Meckel. Sie machen, gegensätzlich zu mach anderen Beiträgen aus der Reihe "2020 - Die Zeitungsdebatte" im deutschen Spiegel, durchaus optimistisch auf einen aus meiner Sicht wirklich wichtigen und interessanten Aspekt aufmerksam: Nämlich dass sich Zeitungen einen kreativen Weg finden sollten, sich diesem neuen Medium und dessen inhaltlicher, sprachlicher und betriebswirtschaftlicher Kultur ihren Intentionen entsprechend authentisch anzupassen. Und sich nicht von der eigenen Wichtigkeit und Qualität höchstüberzeugt auf veralteten Selbstverständnis-Schemen selbstzufrieden auszuruhen. Der Krise der Tageszeitungen mit Kreativität und Innovation zu begegnen ist ihr Vorschlag.


#1Machold_Lischka

"Ein neues Massenmedium verändert immer auch Kultur, Sprache und die Parameter einer Gesellschaft." (Machold 2013)

Machold nimmt in seinem Beitrag im Grunde eine kulturhistorische Perspektive ein und erklärt anhand diverser Beispiele, dass sich mit der Erfindung neuer Massenmedien immer neue Wege auftaten. Der Fokus auf alte Schemen und die spezifischen Probleme der Print-Zeitungen in ihrer bisher dagewesenen Form würden daher aktuell den Blick darauf verstellen, was schon an Neuem lebt und an Möglichkeiten entsteht. Dies gelte gerade auch für den Qualitätsjournalismus, "wie immer man den definieren möchte." (Machold 2013)

Zur finanziellen Krise der Tageszeitungen führt Machold zunächst aus, dass das Tageszeitungsgeschäft schon immer ein Quer-finanziertes Gewerbe war: neun Rätsellöser subventionieren quasi eine Person, die an Außenpolitik interessiert ist. Und dieses Modell gilt es nun auch auf den online-Journalismus und dessen Geschäftsmodelle zu übertragen (vgl. Machold 2013).

Drei solcher Geschäftsmodelle mit "Web-Anstrich" beschreibt Litzka in seinem Beitrag. Eines davon bezieht sich auf (im Falle einer Bezahlung) hochdetaillierte Berichterstattung über das lokale politische Geschehen für ansässige EntscheiderInnen (PoilitikerInnen, LobyistInnen, etc.) in Washington; eines auf die regionale Wirtschaft, der über eine Regionalzeitung gegen Bezahlung eine gemeinsame Plattform mit entsprechend interessensgefärbter Berichterstattung geboten wird und ein drittes auf das Zusammenlegen von online-Ausgabe und dem ?best of? daraus mit Printausgaben mit Anzeigenzeitungen und einer ergänzenden Luxus-Sonntags-Ausgabe für ein vermögendes Publikum (vgl. Litzka 2013).

Außerdem verweist er auf die staatliche Förderung von lokalen Journaliusmus-StartUps anstatt großer Verlage (Litzka 2013). Hier ist auch Crowdfunding ein Thema, welches im Journalismus teilweise Anwendung findet (vgl. dazu Jian & Usher 2013).

Die Krise scheint also für diese beiden Insider also durchaus bewältigbar. Ähnlich sehen das auch die anderen beiden Autorinnen.


#3Burmester_Meckel

"[Die Zeitungen] sind wie ein reicher, alter Mann, der meint, sein Geld genüge schon, damit die Weiber um ihn herumhüpfen." (Burmester 2013)

Tageszeitungen sind laut Burmeister viel zu wenig kreativ. Sie würden sich noch immer als Nachrichtenverwalter und Schönschreiber begreifen und hätten nicht verstanden, dass das im Zeitalter des Netzes nicht mehr reicht. Sie würden von den Langweilern der Mittelmäßigkeit verantwortet, die, ihren traditionellen Selbstbild verhaftet, keinen oder nur wenig Platz für auffällige und bunte Formate für ihre Inhalte bieten würden (vgl. Burmester 2013).

In die Selbe Richtung argumentiert auch Meckel. Sie fordert daher ein bedeutendes Mehr Radikalität, gepaart mit Subjektivität ("Wir brauchen die Zeitung nicht mehr als Massenmedium."), Liberalität (im bürgerrechtlichen Sinne) und Subversivität ("Lange Stücke statt Infosnippets, erzählerisch statt berichtend, subjektiv, nicht objektiv, Hintergrund statt Faktenfetisch, ein Orientierungs-, nicht ein Nachrichtenmedium"). Zeitungen könnten so einen Gegenakzent setzen, indem sie langsam in ihren Themenzyklen sind und bedacht und kontrovers Akzente setzen (vgl. Meckel 2013).

Burmester erwähnt in dieser Hinsicht das Beispiel der "taz", welches sich retrospektiv schon häufig an seiner Existenz bedroht sah. Sie habe es geschafft, mit ihrer "kürzlich gerelaunchten Wochenendausgabe sonnabends etwas vor die Tür zu legen, das ich mit Vorfreude in die Hände nehme. Durch Themen, Autoren, Herangehensweisen, Herzblut. Ich habe beim Lesen das seltene Gefühl: Da steckt Liebe drin." (Burmester 2013) Die von Meckel erwähnten Vorschläge finden hier scheinbar ihre exzellente Anwendung.


Die AutorInnen plädieren zusammengefasst also dafür, dass Tageszeitungen ihr klassisches Rollenveständnis hinter sich lassen sollen und sich in inhaltlicher, sprachlicher und betriebswirtschaftlicher Kultur entsprechend authentisch anpassen sollten. Dies sei hintergründig der Erfindung neuer Massenmedien im Grunde ein natürlicher Vorgang und kein Grund zur Panik, wie die Geschichte zeige.

Ein gutes Beispiel für diese beschriebenen Tipps & Tricks ist für mich das vice-Magazin, auch wenn es nicht als Zeitung im klassischen konzipiert ist (vgl. Wikipedia 2014). Trotzdem kann es als eine Art Vorlage für krisengebeutelte Tageszeitungen dienen. Denn das Jugendmagazin schafft es rein werbefinanziert, mit seiner monatlichen gratis (!) in Shops aufliegenden Printausgabe, einer viel frequentierten Homepage und einem umfassenden YouTube-Kanal zugleich Themen der Jugendkultur, kontroverse Themen (Sex, Drogen, Gewalt) aber auch politische Berichterstattung auf eine qualitativ hochwertige und zugleich ansprechende Art und Weise zu kommunizieren. Die Sprache und Themen sind gewagt - und gehen eben dadurch nicht im Internetzeitalter unter.


Doch zurück zu den AutorInnen. Trotz der guten Vorschläge werden aus meiner Sicht einige Aspekte verabsäumt bzw. zu wenig beleuchtet, was für mich Fragen aufwirft.

Zum einen wird die Funktion von Massenmedien als zentrales Informations- und Meinungsbildungsmedium in einer Demokratie relativ unkommentiert unter den Teppich gefegt. Es wird einfach - explizit wie implizit - unterstellt, dass Tageszeitungen in dieser Funktion nicht mehr gebraucht werden. Sind aber in einer solchen Funktion nicht trotzdem nach wie vor traditionelle und klassische Medien - und damit auch klassische und traditionelle Zeitungen - als eine wichtige Basis vonnöten, welche die AutorInnen mangels ihres Anpassungsvermögens an die schnelle Internetkultur kritisieren? Würde diese Anpassung diese Funktion nicht verklären? Oder wieder anders gefragt: sollen sich, zumindest die staatlich finanzierten Medien hier überhaupt anpassen - und damit mitunter auch interessensgeleiteter Finanzierung Haus und Hof öffnen?

Zu wenig beleuchtet wird aus meiner Sicht, dass in vielen Redaktionen digitaler Journalismus zunächst meist von den dahinterstehenden Umsätzen aus den Printmedien abhängig ist. Die Übergangsphase bzw. die Umstellung auf ein neues Geschäftsmodell dürfte in Bezug auf die interne Akzeptanz sowie auch KundInnenakzeptanz in vielen bestehenden Redaktionen eine nicht zu unterschätzende Herausforderung sein.

Zudem stellen die AutorInnen fest, dass das Internet ein eigenes Medium mit eigener Sprache und Kultur ist und die Zeitung sich diesem Format auf seine charakteristische Weise anpassen möge. Dem stimme ich voll und ganz zu. Trotzdem stellt sich die Frage: Wird dieser Versuch gelingen? Die immense Informationsflut, mit der MedienkonsumentInnen heute konfrontiert sind, wird dabei nämlich ausgeblendet. Zeitungen konkurrieren mit einem irrsinnig schnellen Medium, welches heute bereits lokal unabhängig und extrem niederschwellig zugänglich ist. Können es Zeitungen angesichts dieser Konkurrenz, auch wenn sie die Ratschläge - speziell von Meckel - befolgen, überhaupt schaffen, mittels Qualität auf Dauer einen LeserInnenstamm zu halten, der sich künftig immer mehr der Internetkultur als der "Print-Kultur" (aka. klassischem "Qualitätsjournalismus") zuwendet?


Zusammengefasst sind die Vorschläge der AutorInnen trotz dieser offen gebliebenen Fragen konstruktiv und treffend, wenn sie auch sehr subjektiv sind. Sie zeigen Perspektiven auf, die sich jenseits der "Comfort-Zone" des klassischen Selbstverständnisses von Tageszeitungen bewegen und geben Anlass zu mutigem Risiko. Gerade das wird künftig auch aus meiner Sicht ein für dieses Medium entscheidender Faktor sein!



Quellen

Brumester, S. (2013): Die Friedhofsverwalter
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/silke-burmester-zur-zeitungsdebatte-a-915733.html

Jian, L.; Usher, N. (2013): Crowd-Funded Journalism.
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/jcc4.12051/full

Lischka, K. (2013): Was kommt, wenn die Regionalzeitung geht
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/mediendebatte-was-kommt-wenn-die-regionalzeitung-geht-a-915746.html

Machold, U. (2013): Buzzfeed und Götterdämmerung
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/ulrich-machold-zur-zeitungsdebatte-a-916843.html

Meckel, M. (2013): Plädoyer für den radikalen Anachronismus
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/miriam-meckel-zur-zeitungsdebatte-die-luecke-des-teufels-a-916134.html

Puppis, M., Künzler, M., & Jarren, O. (2012): Einleitung: Medienwandel oder Medienkrise?. In: Jarren, O.; Künzler M.; & Puppis M. (Hrsg.) (2012): Medienwandel oder Medienkrise? Folgen für Medienstrukturen und ihre Erforschung (Medienstrukturen, Vol. 1) (pp. 11-24). Baden-Baden: Nomos.

Wikipedia (2014): Vice (Magazin)
http://de.wikipedia.org/wiki/Vice_(Magazin)




Sonntag, 1. Juni 2014
In diesem Beitrag möchte ich auf die semiotischen Codes in der Webkommunikation bei Jugendlichen eingehen. Schon alleine die verbale Kommunikation unter den heutigen Jugendlichen scheint die ältere Generation zu beschäftigen und folglich herauszufordern. Noch komplexer wird dieses Thema allerdings, wenn auch die semiotische Ebene miteinbezogen wird, wie ich anhand von sog. Memes darstellen möchte. Das Bewusstsein über die Semiotik in der Webkommunikation hat v.a. im Zielgruppen-Marketing eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. In dieser Hinsicht erwähne ich eine Kampagne der europäischen Grünen, die mithilfe von Katzen-Memes zur EU-Wahl aufgefordert haben.

Berühmte Komiker wie Schmidt oder Grünwald verstehen die Welt nicht mehr. Die Sprache der Jugendlichen bzw. die technische Verlagerung der Kommunikation hin zu digitalen Medien gibt ihnen Anlass zur tüchtigen Persiflage, die auch eine gewisse Überforderung durchblicken lässt.





Auch die Elternwelt scheint das Thema der jugendlichen Sprache zu beschäftigen, wie folgende Links beweisen, die ich in einem Blog-Beitrag von Christoph Michelmayer (Q3) gefunden habe.

http://www.t-wie-teenager.de/jugendsprache/
http://jugendsprache.org/wp-content/uploads/2013/01/Jugendsprache_Lexikon.pdf
http://www.klartextsatire.de/kultur/sprache/jugendsprache.htm

Interessanter Aspekt dabei: Diese Sites/Ratgeber sind definitiv mit semiotischen Codes der Elterngeneration übersäht: "Coole" Jugendliche am Strand bzw. auf einer "crazy Brillen-Party", das ganze in einem richtig altmodischen HTML-Stil gepackt. Als "definitiv nicht zeitgemäß" würde ein/e Jugendliche/r heute diese Artefakte entcodieren.

Diese (subjektive?) Feststellung führt an dieser Stelle zum eigentlichen Thema, das ich hier kurz behandeln möchte: Den semiotischen Codes der Jugendlichen in der Webkommunikation. Bezieht man nämlich die semiotische Ebene in diesen für die ältere Generation schon undurchschaubar erscheinenden Kommunikationsstil mit ein, wird die Thematik noch komplexer.

Als Beispiel hierfür möchte ich einige sog. "Memes" anführen. Memens greifen mithilfe von Bildern aus dem Alltag gegriffene oder tagespolitische Themen auf, stellen diese auf satirische Art und Weise dar und enthalten oft Wortspiele. Sie verknpüfen damit Fragmente jugendlicher Sprache mit Bildern und lassen so eine Bedeutung entstehen, für deren "Entcodierung" es ein mitunter relativ spezielles Wissen braucht. Außerdem beinhalten Memes oft auch eine ganz eigene Art von Humor, der wahrscheinlich ebenfalls eher der jüngeren Generation zugänglich ist. Das möchte ich kurz anhand von drei Memes verdeutlichen und diese bewusst kurz und subjektiv beschreiben/entcodieren.



Hier vermischt sich, etwas pathetisch beschrieben, technische Information (Browser) mit einer nicht gerade dem gegenwärtigen Schönheitsideal entsprechenden Augenbrauen-Tragart. Neben dem an sich alten und fast schon kultigen Foto, trägt das gewitzte Wortspiel zu dessen Viralität bei.



Bei diesem Beispiel werden zwei politische Themen, die Einwanderungspolitik in Amerika einerseits und das Thema Rassismus andererseits, auf satirische Art und Weise dargestellt. Zudem wird wieder ein Foto dafür verwendet, welches einen Modestil zeigt, der die heutige Generation zum Staunen verleitet.



Dieses Meme ist ein typisches "Raction-Meme". Beschwert sich z.B. jemand in einem sozialen Netzwerk jemand über irgend etwas, kommt es oft vor, dass so ein Meme darunter kommentiert wird. "Deal with it" - und wenns schon der Obama sagt, dann erst recht!


So weit so gut. Doch warum sollte man sich aber nun mit solchen semiotischen Codes, wie sie in der jugendlichen Webkommunikation auftreten, beschäftigen? Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist eine Sensibilität für semiotische Codes in der Webkommunikation v.a. im Marketing-Bereich von Bedeutung. Bortun und Puracrea entwickeln in ihrem Kurzpaper bspw. einen Marketing-Approach auf semiotischer Basis. Damit wird der "Sender" aus dem Fokus gerückt und die Botschaft ins Zentrum der Betrachtung gestellt: "The focus is centered to the "text" and the way this is "read", the sense being born when the "reader" negotiates the "text". The negotiation takes place when the "reader" filtrates the message through the sieve of his cultural loading." Diese Feststellung ist gerade für effektives Zielgruppenmarketing von Bedeutung (Q1)

Ein hervorragendes Beispiel, bei dem Memes zu Werbezwecken angewandt wurden sind die Grünen in Europa (Q2). Sie haben mit Katzen-Memes zu EU-Wahl aufgefordert, um gerade junge Wähler auf authentische Art und Weise anzusprechen. Gelungen wie ich finde!




Q1: Bortun und Puracrea (2013): Marketing and semiotic approach on communication. Consequences on knowledge of target-audiences.
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3632356/

Q2: Grüne werben mit Katzen für Europa. http://www.welt.de/politik/deutschland/article122726726/Gruene-werben-mit-Katzen-fuer-Europa.html

Q3: Blog von Christoph Michelmaiyer: Die Sprache/Die Codes der heutigen Jugendlichen https://collabor.idv.edu/webkommMC/stories/48800




Mittwoch, 28. Mai 2014
In einem philosophischen Gespräch (Q1) mit Norbert Bischofberger über sein aktuelles Buch "Die unendliche Liste" trifft Umberto Eco einige Aussagen, die auch für das Themengebiet der Webkommunikation interessant sind. Ich möchte hier einige seiner Aussagen anführen und kurz diese im Bereich der Webkommunikation kontextualisieren.



Bischofsberger thematisiert zu Beginn des Gesprächs Ecos aktuelles Buch "Die unendliche Liste", in dem er die Rolle von Listen und Aufzählungen in der (Literatur)geschichte untersucht. Darin nimmt er auch zum Phänomen Internet Stellung. Im Gespräch beschreibt Eco seine Sichtweise darauf folgendermaßen:

"Was nun ist das Internet? Man könnte meinen es sei eine praktische Liste denn es enthält alle Webseiten zu einem gewissen Thema. Aber es ist auch potentiell unendlich, d.h. wenn jemand die Millionen der Seiten anklickt wären die ersten bereits wieder verschwunden wenn er am Ende angelangt wäre. Theoretisch kann man also bis in alle Unendlichkeit im Internet surfen." (14:40)

Anhand dieser Aussage wird durch Ecos Listenmetapher die Unendlichkeit und folgliche Unübersichtlichkeit des Mediums Web deutlich: Die "online-Liste" hat keinen Anfang und kein Ende. Obwohl man mit einer quasi unendlichen, schwindelerregenden Fülle an Information konfrontiert wird, wird man als Mensch nie in der Lage sein, die komplette "Liste des Wissens" so wie sie in Form des Internets zugänglich ist, zu erfassen.

Eine passende, jedoch im Vergleich zu Eco mit eher positivem Subton versehene, philosophische Metapher wäre die des Rhizoms (Q1). Rhizome sind Wurzelgeflechte, bei denen nach einer gewissen Zeit kein Anfang und kein Ende mehr identifizierbar sind. Es wird von postmodernen bzw. poststrukturellen DenkerInnen als Modell für Wissensorganisation verwendet und hat in diesen Kreisen die Baum-Metapher mit ihrem hierarchischen Strukturen ersetzt.

Eine ableitbare Konsequenz für die Webkommunikation könnte dahingehend liegen, diesen von Eco und anderen Philosophen beschriebenen Wissensbegriff in Kontext des Web-Mediums zunächst schlichtweg zu akzeptieren und nicht zu versuchen, das Medium in andere Wissenskonzepte (wie bspw. die erwähnte Baummetapher) einzupassen. Dazu gehört einerseits, sich der netzwerkartigen und schwer nachvollziehbaren Organisation des Wissens einerseits bewusst zu werden und andererseits darin jene Chancen zu erkennen, wie sie z.B. im Bereich der nicht-hierachrischen Organisation des Wissens allgemein oder des interaktiven Lernens liegen könnten.


Im weiteren Gesprächsverlauf nimmt Baumberger Bezug auf die Wissenschaftliche Tätigkeit von Eco, deren Benefit v.a. darin liegt, dass er das Feld der Semiotik auf die zeitgenössische Kultur hin öffnet. In diesem Zusammenhang trifft Eco eine weitere interessante Aussage. Als Illustration dazu führt er zuvor aus, dass ein Semiotiker anhand von Symbolen wie bspw. Kleidungsstücken feststellen kann, welcher (in diesem Fall) Modeströmung eine Person angehört. Dazu zitiert er Barthes: "Wo andere nur Dinge sehen, sieht der Semiotiker den Sinn dahinter". Eco sagt:

"Die heutigen Jugendlichen bedienen sich ständig der Semiotik der Kultur aber vergessen, die grundlegenden Aspekte der Philosophie zu diskutieren." (34:27)

Diese Aussage lässt sich ebenfalls, wenn auch nur implizit, auf die Webkommunikation übertragen. Gerade die Unendlichkeit des Internets steckt ebenfalls voller semiotischer, kulturell assoziierter Symbole, die laut Eco aber unreflektiert angewandt werden. An dieser Stelle wäre ein Beispiel seinerseits interessant. Jedenfalls ist das erkenntnisphilosophische Problem, welches Eco in dieser Hinsicht bemerkt, interessant: Symbole werden zwar in der Webkommunikation übernommen, allerdings ist man sich der semiotischen "Konsequenzen", also der kulturellen Interpretation selbiger nicht bewusst.

In einer kommunikationswissenschaftlichen Sichtweise auf das Thema Webkommunikation könnte man in Anschluss an Eco hier eine ausgeprägtere Sensibilität in Bezug auf die Semiotik der Internetkommunikation an den Tag legen. Ist man sich über kulturelle Aspekte verwendeter Symbole bewusst, kann man WEbkommunikation, funktional betrachtet, treffender ausgestalten. Ein Beispiel dafür wäre ein von der von Bortun und Puracrea in diesem Paper kurz zusammengefasste "semiotic approach on marketing" (Q5), in dem sie, basiert auf Kuhn und Gonseth, auf die Wichtigkeit kultureller Aspekte in der Kommunikation für das Zielgruppen-Marketing aufmerksam machen. Das Thema hab ich auch kurz in einem anderen Blog-Beitrag bearbeitet (Q6).


Bezugnehmend auf die Frage, ob eine Ursprache existiert(e), erwähnt Eco "Mit Bestimmtheit lässt sich einzig sagen, dass alle Menschen das gleiche Apparätchen im Gehirn haben, das ihnen ermöglicht, Sprachen zu kreieren und zu verstehen. Und dass sie dieses Apparätchen ihrem siozialen Umfeld angepasst haben" (38:48)

In dieser Aussage wird aus meiner Sicht jener Aspekt deutlich, den Nicolas Carr in seinem Buch "Wer bin ich wenn ich online bin ... und was macht mein Gehirn solange?" (Q3, Q4) herausgearbeitet hat: Das Web - und damit auch die Webkommunikation - nehmen beträchtlichen Einfluss auf unser Gehirn und damit auch auf unser Denken. Es passt sich sozusagen den sozialen Gegebenheiten an. Und diese bestehen aktuell darin, sich der zunehmenden Kommunikation über das Web mit all seinen Eigenheiten anzupassen.



Q1: Sternstunde Philosophie: Umberto Eco. https://www.youtube.com/watch?v=nHwjZf_tRCE
Q2: Wikipedia: Rhizon (Philosohpe) http://de.wikipedia.org/wiki/Rhizom_(Philosophie)
Q3: Carr, Nicolas (2010): Wer bin ich wenn ich online bin ? und was macht mein Gehirn solange? Karl Blessing Verlag.
Q4: Leseprobe zu Q2 http://www.randomhouse.de/content/edition/excerpts/103167.pdf
Q5: Bortun und Puracrea (2013): Marketing and semiotic approach on communication. Consequences on knowledge of target-audiences. http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3632356/
Q6: Blog-Beitrag Markus Ellmer: Semiotik & Webkommunikation: Die Codes der Jugendlichen. https://collabor.idv.edu/blogme/stories/49003/




Mittwoch, 14. Mai 2014
Präsentation in der LVA "Webkommunikation", am 07.05.2014

1. Zur Einführung: Medien und ihre Akteure
"Sender" und "Empfänger" sind zwei zentrale Begriffe in der Medienwissenschaft. Als ?Sender? wird die Person, Organisation bzw. das Medium bezeichnet, die Information verbreitet - dazu zählen auch Journalisten. ?Empfänger? sind die Rezipienten, also die Personen, die diese Informationen erhalten (vgl. Müller 2011: S. 21). Medien können durch verschiedene Kriterien unterschieden werden:
? Verbreitungsgrößen
? Inhalt & Anspruch
? Medien vs. Medienträger

In Kontext von Medien und Journalismus spielt auch die "öffentliche Kommunikation" eine wichtige Rolle. Diese unterscheidet sich durch folgende (in der VU im Plenum ergänzten) Merkmale von anderen Kommunikationsarten (vgl. collabor.idv.at 2014: online):
? große Reichweite, hohe Publikumszahl
? allgemein zugänglich und entsprechend aufbereitet
? sehr stark geregelt/institutionalisiert
? immer indirekt, d.h. einseitig/asymmetrisch; die Publikumsrolle ist den Empfängern oft nicht bewusst; es kann nicht reagiert werden (Relativierung durch Internet!)
? disperses Publikum nach Zeit und Ort: anonym, groß, heterogen/geschichtet,
? immer technisch vermittelt, wobei die Technik die Semiotik determiniert: In Radio, Zeitung oder Fernsehen werden Inhalte wesentlich anders aufbereitet


2. Journalistische Verantwortung
2.1. Gesetze und Ehrenkodizes
Hier existieren für Journalisten einerseits gesetzliche Regelungen. Dazu zählen allgemeine Gesetze wie das Grundrecht der Pressefreiheit usf. und im Speziellen das Rundfunk- und Medienrecht (für Österreich). Darin werden vorwiegend der Schutz der journalistischen Berufsausübung, der Persönlichkeitsschutz, Vorgaben zum Impressum, strafrechtliche Bestimmungen etc. festgesetzt. Daneben existiert ein Ehrenkodex über die ?Grundsätze für die publizistische Arbeit? (vgl. presserat.at 2014: online)

In Bezug auf die Arbeitsweisen ist journalistische Ethik ein zugleich wichtiges und diffuses Thema: ?Zwischen den rechtlichen Rahmenbedingungen einerseits und dem, was Journalisten tun oder lassen sollten, besteht eine Grauzone, die häufig mit wenig präzisen Begriffen wie ?allgemeine journalistische Standards? oder ?journalistische Sorgfaltspflichten? übertüncht wird? (vgl. Müller 2011: S. 151).

2.2. Journalistische Ethik
"Ethik ist Sittenlehre und versucht die Frage zu beantworten, wie der Mensch sich verhalten soll, um anständig zu sein. "Richtiges", sittliches Handeln wird nur möglich, wenn der Handelnde sich an Werten orientiert, also etwa an Tugenden wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Fairness oder Selbstbeherrschung. Diese Werte sollten das Verhalten von Menschen in einer Gesellschaft ganz allgemein bestimmen.

Eine spezielle journalistische Ethik gibt es deshalb nicht. Es besteht allerdings eine besondere Verantwortung der Journalisten, da ihre Tätigkeit - wie auch die etwa der Politiker - in die Öffentlichkeit hinein wirkt und gravierende Folgen für betroffene Menschen haben kann.

Ob und wann Journalisten Ethik ?brauchen? kann nicht die Frage sein. Gerade von ihnen muss verlangt werden, dass sie Werte, die das Zusammenleben der Menschen sinnvoll machen, beachten - und zwar immer."
(Bölke 2014: online)

In dieser Hinsicht stellt sich auch die Frage nach der Macht der Medien in Sachen Publikumsbeeinflussung. Hier sind v.a. politische Themen von Belang (vgl. Neuburger/Kapern 2013: S. 63ff). Ein aktuelles und indirekt auch treffendes Beispiel dafür ist die momentane Berichterstattung zum Mordprozess des südafrikanischen Sprinters Oscar Pistorius. In Südafrika wird aufgrund der dortigen Ausgestaltung des Restsystems sehr detailliert über den Prozess berichtet. Dies wäre in anderen Ländern nicht möglich, da z.B. Geschworene maßgeblich beeinflusst werden könnten (ZIB vom 05.05.2014)

3. Journalistische Qualität
Müller bemerkt einleitend in seinem Buch zu journalistischen Arbeitstechniken: ?In kaum einem anderen Gewerbe werden Sie so viel Dilettantismus antreffen, klaffen Anspruch und berufliche Wirklichkeit weiter auseinander. Ohnehin kann sich jeder, der sich dazu berufen fühlt, als ?Journalist? bezeichnen. Arbeits- oder gar Ausbildungsnachweise sind dafür nicht erforderlich? (Müller 2011: S. 4). Damit kommt es zu Qualitätsproblemen, die auch öffentlich sichtbar werden und Konsequenzen mit sich ziehen. Oft wird vergessen, dass journalistisches Arbeiten - wie oben dargelegt - durchaus Grundregeln unterliegt, die Einsteiger in den Beruf erlernen ? und später auch anwenden müssen.

Die jeweilige Ausformung der Qualitätskriterien ist abhängig von den spezifischen Anforderungen eines Mediums, den Standards im Qualitätsmanagement sowie den Rahmenbedingungen der Journalisten. Außerdem sind die persönlichen Voraussetzungen und Fähigkeiten, die der Journalist in seine Arbeit einbringt relevant. Dazu zählen die Beherrschung des journalistischen Handwerks, Präzision in Wahrnehmung und Wiedergabe, Faktentreue, verständlichen Sprachstil, überlegten Einsatz unterschiedlicher Darstellungsformen und eine fundierte Recherche.

In Bezug auf die Qualitätsdimension spielen aber auch die Nutzer (Zielgruppen) der journalistischen Beiträge eine Rolle. Ex-RTLChef Helmut Thoma dazu: ?Der Köder muss dem Fisch gefallen, nicht dem Angler?. Leser der Wochenzeitung ?Die Zeit? haben andere Erwartungshaltungen als die Abonnenten eines Lokalblattes im Hinblick auf Themenauswahl, verwendete journalistische Darstellungsformen, Textumfänge oder optische Aufmachung. (Müller 2011: S. 182 und Neuburger/Kapern 2013: S. 115ff und 169ff)

3.1. Rahmenbedingungen für die Qualität
? der Stellenwert, den Journalismus in dem Medium überhaupt hat: Der zeitliche bzw. räumliche - Rahmen, der für journalistische Beiträge zur Verfügung steht
? die personelle Ausstattung
? die gute und umsichtige journalistische Führung
? Honorierung und Sicherheit des Arbeitsplatzes
? die technische Ausstattung des Arbeitsplatzes
? die Organisation des eigenen Arbeitsplatzes und des gesamten Arbeitsablaufs

3.2. Wissenschaftliche Aspekte
? Richtigkeit: Das, worüber berichtet wird, muss stimmen.
? Relevanz: Es muss für die Zielgruppe bedeutsam sein.
? Transparenz: Es muss nachvollziehbar sein, auch in seiner Entstehung und journalistischen Darstellung.
? Ausgewogenheit: Es müssen auch gegensätzliche Meinungen zu Wort kommen.
? Vielfalt: Das Angebot der Inhalte muss plural sein.
? Aktualität: Die transportierten Inhalte müssen neu sein. (Ergänzung: oder neue Aspekte, bzw. Entwicklungen enthalten).
? Verständlichkeit: Die Botschaft muss vom Publikum nicht nur wahrgenommen, sondern auch verstanden werden.
? Rechtmäßigkeit: Die Inhalte folgen den rechtlichen Grundlagen. (... und ethischen Leitlinien!)


4. Journalistische Inhalte: Themenauswahl und Recherche
Unvorhersehbare Ereignisse
Überraschende Rücktritte von Politikern, Unglücke, Naturkatastrophen usw. Der Umfang der Berichterstattung sowie der damit verbundene zeitliche und personelle Aufwand hängen vor allem von der Bedeutung und dem Ausmaß eines aktuellen Ereignisses ab.

Absehbare Themen
bevorstehende Pressekonferenz, bei der fest mit dem Rücktritt eines Politikers oder der Entlassung eines Trainers gerechnet wird; die Vorankündigung eines Mediums, mit der exklusive Informationen in Aussicht gestellt werden;

Planbare Themen
Geburtstage, Jahres- und Ehrentage, Feiertage und Ferien, Sommeranfang, Winterende, Uhrzeitumstellung etc.; Historische Gedenktage wie z.B. ?Der Fall der Mauer? oder der ?Gründungstag der Bundesrepublik Deutschland?

Zufallsthemen
unerlaubter Werbeanruf einer offenbar unseriösen Vertriebsorganisation, der beim Journalisten eingeht; die schon länger brachliegenden Straßenbauarbeiten, die von Nachbarn beiläufig erwähnt werden; unzumutbare schulische Belastungen der eigenen Kinder durch die Umstellung des Gymnasiums von neun auf acht Jahre oder die schleppende Bearbeitung von ?Hartz IV?-Anträgen, von der der Journalist zufällig in seiner Stammkneipe hört

Themenübernahmen
von anderen Medien

4.2. Kriterien der Themenauswahl
Wesentlich schwerer als die Themenfindung ist in vielen fällen die Themenauswahl. Aufgrund des begrenzter Ressourcen und des zur Verfügung stehenden Platzes bei Printmedien bzw. begrenzter Zeiten für Informationssendungen in Radio und Fernsehen muss zwangsläufig eine Auswahl getroffen werden.

? Redaktioneller Umfang, der bei Printmedien insbesondere vom Anzeigenumfang abhängt. Deswegen ist die Fragestellung eingangs angebracht: Ist es überhaupt möglich, dass das Thema im geplanten Umfang veröffentlicht werden kann?
? Eignung der Mediengattung: Nicht alle Themen eignen sich gleichermaßen für die Veröffentlichung in allen Mediengattungen. Dabei sind auch etwaige Formatierungen, z.B. bei Radioprogrammen, zu berücksichtigen.
? Bedeutung für die Zielgruppe des Mediums: Das Thema muss für die Zielgruppe nach Möglichkeit interessant oder gar wichtig sein. ?Wichtig? bedeutet, dass das Thema Auswirkungen zumindest für einen Teil der Nutzer hat. Beispiel: Veränderungen der ?Hartz IV-Sätze? für Empfänger dieser sozialen Leistungen Aktualität des Themas: Das Thema muss tatsächlich neu sein, zumindest sollten neue Entwicklungen erkennbar sein.
? Verifizierbarkeit und Recherchierbarkeit eines Themas: Die Richtigkeit der Inhalte muss über eine unabhängige (andere) Quelle überprüfbar sein. Zudem muss möglichst frühzeitig die Frage geklärt werden, ob das Thema überhaupt recherchierbar ist; dass bedeutet, ob notwendige Fakten und Daten erlangt werden können bzw. wichtige Gesprächspartner zur Verfügung stehen.
? Voraussichtlicher personeller Aufwand: Es muss vorhersehbar sein, dass die Redaktion bzw. freie Journalisten auch zeitlich in der Lage sind, das Thema bis zum geplanten Veröffentlichungstermin journalistisch fundiert umzusetzen. Die Beachtung dieses Kriteriums ist vor allem dann erforderlich, wenn der Berichterstattung voraussichtlich lange Recherchen vorausgehen müssen.
? Finanzieller Aufwand: Schließlich muss auch die Frage gestellt werden, ob die geplante Berichterstattung einen etwaigen höheren finanziellen Aufwand rechtfertig, z.B. für Recherchereisen oder den Ankauf von notwendigem Bildmaterial bzw. die Erstellung von notwendigem Filmmaterial (Fernsehen, multimediale Inhalte bei Onlinemedien).


4.3. Informationsquellen für Journalisten
Primäre Informationsquellen: Die Informationen stammen grundsätzlich aus ?erster Hand?, d.h. der Journalist hat ein Ereignis selbst am Ort des Geschehens mitverfolgt, persönlich mit Augenzeugen gesprochen oder das Originaldokument selbst eingesehen.

Sekundäre Informationsquellen: Der Journalist muss sich auf Informationen verlassen, die er von anderen erhalten hat. Dazu zählen vor allem Meldungen von Nachrichtenagenturen, Presse- und Medienberichte sowie alle Informationen, die aus nicht überprüfbaren Originalquellen stammen.

Keine Informationsquellen sind dagegen reine Gerüchte und offenkundige Propaganda.
Theoretisch gilt, dass Informationen aus sekundären Quellen in anderen - unabhängigen Quellen - überprüft werden müssen; im Journalismus wird das als ?verifizieren? (Substantiv: Verifizierung oder Verifikation) bezeichnet. In der Praxis müssen sich Journalisten ? allein aus Zeit- und Kapazitätsgründen ? häufig jedoch auf Inhalte verlassen (können), die sie aus sekundären Quellen erhalten (vgl. Müller 2011: S. 206).

Die wichtigsten Informationsquellen im Überblick

(Darstellung: Müller 2011: S. 207)

4.4. Recherche
"Recherche ist die gezielte Suche nach Informationen wie Daten, Fakten, Aussagen und Hintergründen mit dem Ziel, sich ein möglichst umfassendes und objektives Bild von Ereignissen, Zusammenhängen, Entwicklungen, Personen und Institutionen zu machen. 'Gezielt' bedeutet, dass sich der Suchende vorher darüber im Klaren sein muss, welche Informationen für welchen Zweck benötigt werden." (Müller 2011: S. 245)

Rechercheablauf

(Darstellung: Müller 2011: S. 250)

Verdeckte Recherchen als journalismusethisches Spezialthema:
Wenn Journalisten ?in cogito? recherchieren, wird das als ?verdeckte Recherche? bezeichnet. Die Bandbreite reicht dabei von einfachen Anrufen unter falscher Namensnennung über verdeckte Ton- und Videoaufnahmen bis hin zur Annahme einer falschen Identität über einen längeren Zeitraum.

Das wahrscheinlich spektakulärste Beispiel der letzten Jahrzehnte war ?Hans Esser? (aka. Günther Wallraff), der 1977 vier Monate lang als Reporter für die Regionalausgabe der ?Bild?-Zeitung in Hannover arbeitete. (Müller 2011: S. 295). Aber auch Ernst Strasser wurde mit seiner Lobbying-Affäre von englischen Journalisten mittels verdeckter Recherche aufgedeckt.


Diskussionsfrage: Wie steht ihr, ethisch betrachtet, grundsätzlich zu verdeckten Recherchen? Unter welchen Umständen würdet ihr diese Arbeitsweise tolerieren/ablehnen?



Quellen

Bölke, Dorothee (2014): ?Ob Journalisten Ethik brauchen ist nicht die Frage?, http://www.akademie-fuer-publizistik.de/ethikrat/themen-bisher/wozu-journalistische-ethik/

Christoph Neuberger, Peter Kapern (2013) Grundlagen des Journalismus. Springer: Wiesbaden.
http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung/Bundesnormen/10000719/MedienG%2c%20Fassung%20vom%2005.01.2012.pdf

collabor.idv.at (2014): Massenkommunikation. http://collabor.idv.edu/webkomm14s/stories/48114/

Müller, Horst (2011): Journalistische Arbeitstechniken. Journalistische Grundlagen, Journalistische Arbeitstechniken, Journalistische Darstellungsformen. Reihe ?Mediengestützte Wissensvermittlung? Band 5.

presserat.at (2014): Grundsätze für die publizistische Arbeit (Ehrenkodex für die österreichische Presse) http://www.presserat.at/show_content.php?sid=3

Rechtsinformationssystem: Östereichisches Mediengesetz.




Montag, 17. März 2014
Ein Maßgeblicher Teil der Webkommunikation kann im übertragenen Sinne als "beiläufige Kommunikation" betrachtet werden, die der Aufmerksamkeit, welche beim Spaziergang dem Hund geschenkt wird, entspricht.

... oder: "Der Hund als Begleiter ist Beiläufer, er unterstützt die Motive des Spazierganges, seine Begleitung ist jedoch im letztgenannten Sinne nicht Haupt-, sondern Nebenzweck."

Entgegengesetzt dieser These, die meinem Verständnis nach aufgrund ihrer "Beiläufigkeit" einen nur sehr geringen Einfluss von Internetkommunikation auf die real-analoge Kommunikation unterstellt, würde ich gegenteilig vorschlagen, dass es genau umgekehrt ist. Internetkommunikation ist, wie ich finde, alles andere als beiläufig, weil sie eine starke Zerstreuung der Aufmerksamkeit forciert und damit auch die real-analoge, synchrone Kommunikation stark beeinflusst. Begriffe wie "Two-Screen Generation" bilden dieses Phänomen der Ubiquitarität zerstreuter Aufmerksamkeit indirekt ab. Insofern wäre dies im Sinne des im Beitrag erwähnten Karikaturisten Loriot der den Umstand, dass Hundebesitzer ihren Hund nicht unter Kontrolle haben, persifliert: "Gleitet der Spaziergang mit dem Hund jedoch in eine Eskapade von Dressurakten ab, so sollte eher von einem Spaziergang mit dem Menschen gesprochen werden." Dieser Umstand, dass die Beiläufigkeit zum Zentrum der Aufmerksamkeit wird, trifft aus meiner Sicht stärker zu als die umgekehrte Version.

Passend dazu ein (zugegenermaßen etwas langes) Zitat von Graff: "Jeder checkt und updated mittlerweile seinen Online-Status, um mit seinem Umfeld in Verbindung zu bleiben. Dabei lässt die Aufmerksamkeit für die analoge Gegenwart immer mehr nach, weil der Mensch nur noch digital um sich kreist. (...) Das hat Auswirkungen auf die Aufmerksamkeit, die man der analogen Gegenwart schenkt, in der man sich faktisch befindet. Denn es verändert sich zunehmend das Gefühl von Anwesenheit. Festzustellen ist daher, dass das, was Soziologen die Effekte der "Computervermittelten Kommunikation" (CVK) nennen, einen nennenswerten Einfluss auf die Kommunikation von Menschen hat. Der Einfluss zeigt sich in Formen des Umgangs miteinander - doch zuallererst im Wandel der Sprache." (Graff 2013: online) Graff fasst in seinem Artikel treffend und in keiner panikerzeugenden Form zusammen, wie das Internet Einfluss auf die reale Welt nimmt.

Damit ist er keineswegs allein. Auch Geert Lovink, der in seinem Buch "Networks Without A Cause. A Critique on Social Media" eine umfassenden Kulturwandel durch das Internet (im Internet) feststellt argumentiert in diesem Sinne sogar, dass die aktuelle Form der Psychopathologie sozio-kommunikativer Natur ist: Es besteht Angst, nicht mit anderen verbunden zu sein (vgl. Lovink 2011: S. 26). Auch (sicherlich auch kritisch zu betrachtende!) Argumente von Nicolas Carr sind an dieser Stelle zu erwähnen, der mittels den Ergebnissen zahlreicher Hirnforschungsstudien einen unmittelbaren Einfluss auf das menschliche Denken feststellt (vgl. 2010).

Zusammenfassend kann man bei Internetkommunikation nicht von Beiläufigkeit sprechen. Zwar sind die Motive vielleicht beiläufiger Natur, die Zerstreuung der Aufmerksamkeit ist aber alles andere als Beiläufig. Denn sie hat reale Konsequenzen.


Quellen
Carr, Nicolas (2010): wer bin ich wenn ich online bin ... und was macht mein Gehirn solange?. Wie das Internet unser Denken verändert. Blessing.

Graff, Bernd (2012): Das Echo der Geschwätzigkeit. URL: http://www.sueddeutsche.de/digital/kommunikation-im-internet-das-echo-der-geschwaetzigkeit-1.1557367, 17.03.2014

Geert Lovink (2011): Networks Without a Cause. A Critique of Social Media. Polity Press.